Nach den "Winteraufzeichnungen über Sommereindrücke" von 1863 als Frucht seiner Europareise gibt Dostojewski im darauffolgenden Jahr in der ersten Ausgabe der mit seinem bald darauf verstorbenen Bruder Michail herausgegebenen Zeitschrift "Die Epoche" die "Aufzeichnungen aus dem Untergrund" heraus. Es handelt sich im ersten Teil "Der Untergrund" um sarkastische und pessimistische philosophische Betrachtungen eines zurückgezogenen Ich-Erzählers, der sich dem fraglich aufklärerischen Idealismus einer als verlogen erlebten Gesellschaft verweigert. Im zweiten Teil "Bei nassem Schnee" berichtet der von einer bescheidenen Erbschaft lebende Protagonist in einer Novelle vom zwischenmenschlichen Scheitern in verschiedenen Begegnungen mit zum Beispiel alten Schulkameraden, denen er sich aufdrängt, und in der Begegnung mit Lisa, einer Prostituierten, der er erst eine Moralpredigt hält, dann aber, als sie sich von ihrem Laster für ihn abwenden will, durch beleidigende Verhaltensweise wieder zurückstößt. - Nietzsche nahm diese psychologische Studie als einer der ersten in einer französischen Übersetzung wahr.
In der witzigen Satire "Das Krokodil" von 1865, ebenfalls in der "Epoche" veröffentlicht, wird ein russischer Mann von dem ausgestellten Krokodil eines Deutschen verschlungen, er lebt weiter und richtet sich dort ein, der Ich-Erzähler und Freund soll nun dieses Weltwunder seines Überlebens vermarkten.
Noch bevor Dostojewski Ende 1866 "Schuld und Sühne", seinen ersten großen Roman für den Verleger Stellovskij veröffentlichen kann, ist er durch seine horrenden Schulden an einen Knebel-Vertrag gebunden, der ihm auch abverlangt, einen weiteren Roman bis zum 1. November 1866 abzuliefern. Er diktiert einem Mädchen, das Stenografie beherrscht, in 26 Tagen den autobiografischen Kurzroman "Der Spieler". Wenig später heiratet er dieses 19-jährige Mädchen Anna Grigorjewna Ssnitkina am 15. Februar 1867, das ihm im weiteren Leben Schutzengel sein wird und ihn seinen Gläubigern durch eine 4 Jahre währende Auslandsreise entreißt. In diesem Roman verarbeitet Dostojewski seine eigene Spielleidenschaft wie auch seine Erlebnisse mit Polina Suslova, seiner Geliebten aus dieser Zeit. Der Ich-Erzähler Aleksej Ivanovitsch ist Hauslehrer der Kinder eines abgewrackten Generals, der ihn und weitere Personen mitnimmt nach Roulettenburg in Deutschland, insgeheim erwartend, eine totkrank geglaubte Tante im fernen Russland zu beerben. Die Charaktere sind zum Teil herrlich getroffen, insbesondere jene Tante, die plötzlich völlig gesund angereist kommt und ihren Neffen, den General, durch ihr Glücksspiel um sein Erbteil bringt. Die Psychologie des Spielers wird wunderbar in diesem rasch hingeworfenen possenhaft-amüsanten Werk wiedergegeben.
Der Roman "Der ewige Gatte" wurde Ende 1869 in Dresden geschrieben, zeitlich zwischen den größeren Werken "Der Idiot" und "Die Dämonen". Auch hier geht es um Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, nämlich Dostojewskis Beziehung zu seiner ersten Frau, der Witwe Marja Issajewa, die er 1854 in Semipalatinsk kennenlernt und drei Jahre später heiratet. Erst hinterher bemerkt er, daß er von ihr auch noch nach der Eheschließung weiter mit Vergunov, einem Lehrer und Kollegen ihres verstorbenen Mannes betrogen wird. In diesem Roman kreuzen sich immer wieder die Wege des gehörnten "ewigen Gatten" Pawel Pawlowitsch Trussozkij mit dem ehemaligen Liebhaber seiner verstorbenen Frau Alexei Iwanowitsch Weltschaninoff. Es ist eine Hassliebe, die die beiden Kontrahenten verbindet, von tiefem Verständnis - aber zugleich auch schroffer Ablehnung - bis hin zu Mordgedanken reichend.
Die satirische Kurzgeschichte "Bobók" von 1873, veröffentlicht als 6. Beitrag seines "Tagebuch eines Schriftstellers" in der mehr konservativen Zeitschrift Grashdanin, stellt leeres nichtsnutziges Geschwätz gerade verstorbener Menschen aus den oberen Gesellschaftsklassen auf einem Friedhof vor, welches der Ich-Erzähler und Literat vernimmt und das erst verstummt, als der Literat niest. Bobók ist dabei lautmalerisch gemeint für das "Platzen von Luftblasen an der Oberfläche fauliger Gewässer", wie die Übersetzerin EK Rahsin im Nachwort vermerkt. Die Moral dieser Geschichte: auch in der Ewigkeit bleiben die Triebe des Menschen genauso hohl und ungeläutert.
"Die Sanfte" von 1876 und der "Traum eines lächerlichen Menschen" von 1877 sind ebenso kurze Erzählungen aus dem inzwischen selbst herausgegebenen "Tagebuch eines Schriftstellers". Die erste ist ein innerer Monolog eines Wucherers, der nicht selbstlos lieben kann, über den Selbstmord seiner sanftmütig jungen Ehefrau, angeregt durch Dostojewskis Erfahrung des Selbstmordes der Tochter von Alexander Herzen wie auch weiterer junger Frauen. Die zweite schildert, wie ein Ekel am Leben empfindender junger Mann ständig sich mit einem Revolver umbringen will, dann aber durch ein 8-jähriges Mädchen, das ihn vergeblich um Hilfe anfleht, im Lehnsessel sitzend ins Nachdenken kommt und einschläft. In einem wilden Traum kommt er auf eine andere Erde, wo alles wie ein Utopia in Harmonie lebt, aber durch ihn als Eindringling und Pestsamen sich total schlecht entwickelt (wie im richtigen Leben). Er erwacht aus diesem Alptraum kuriert und will jetzt doch dem Mädchen helfen und nicht mehr sterben, weil er gesehen hat, dass die Menschheit auch glücklich leben kann.
Diese späteren kleinen Romane enthalten viele Gedanken, die in den 5 großen Werken gemäldehaft ausgeführt werden. Sie zeigen die ganze Vielfalt und Schaffenskraft des genialen russischen Schriftstellers.
Verfasserangabe:
Fjodor M. Dostojewski
Jahr:
1996
Verlag:
München, Piper
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Systematik:
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SL 1
Interessenkreis:
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Klassiker
ISBN:
3-492-04009-8
Beschreibung:
15. Aufl. , 790 S.
Beteiligte Personen:
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Rahsin, E. K.
Fußnote:
Aus dem Russisch. übers.
Mediengruppe:
Schöne Literatur